Der Countdown läuft


Das deutsche Parlament hat den Schweine haltenden Betrieben in Deutschland eine gesetzliche Vision beschieden, die es mutig umzusetzen gilt: der Ausstieg aus der betäubungslosen Ferkelkastration bis Ende 2020. Ist dieser alternativlos? Welche Handlungsmöglichkeiten gibt es? Johannes Hilgers, Schweinevermarktung Rheinland w.V. (SVR), mit dem Ergebnis einer Feldbeobachtung 2019 zu Impfungen gegen Ebergeruch.

Erste Option: Kastration mit Betäubung. Problem: Das angebotene Mittel ist umstritten, selbst bei bestimmungsgemäßem Gebrauch sind die Gefahren für Anwender und Tiere nicht von der Hand zu weisen. Fazit: „Eher nicht.“ Zweite Option: Mast intakter Eber. Problem: Sie haben keinen optimalen Schlachtkörper und das Problem der Geruchsabweichler ist noch nicht gelöst. Der Absatz ist auf größere Schlachtbetriebe beschränkt. Betriebsleiter Uwe Behnke aus Goch meint dazu: „Masteber sind sehr unruhig. Durch Aufspringen und Beißen führt dies zu mehr Verletzungen.“ Fazit: „Eher nicht.“ Bleibt eine dritte Option? Der Verbraucher ist auf möglichst naturnahe Haltung und möglichst wenig behandelte Tiere gepolt. Und jetzt sollen sie geimpft werden? Werden da nicht alle Widerstandskräfte geweckt?


Die Akteure

Zur Halbzeitbilanz des Bundestagsbeschlusses war daher eine zukunftsgerichtete Bestandsaufnahme angezeigt. Der SVR beschloss, 2019 die Improvac- Impfung auf die breite Basis einer Feldbeobachtung zu stellen, die von vornherein die relevanten Akteure als Mitlöser einbeziehen sollte. Und in der Tat, es gelang. Mit dabei waren der Tierschutzverein Düsseldorf, Schlachthöfe, der Lebensmittelhandel – und natürlich die Betriebe als die durchführenden Experten vor Ort. Für die Tierschutzvereine ist die Kastration nicht mehr zeitgemäß. Sie kann aber durch Impfungen vermieden werden: Durch die Impfung bilden sich die Hoden zurück, der aktuelle Geschlechtstrieb lässt nach, der Geschlechtsgeruch ist nicht mehr vorhanden. Aber machen da alle in der Ernährungskette mit? Ausgangspunkt der Studie war die Frage: Wie stellt sich aktuell die Situation für die Zukunft bei der Vermarktung geimpfter Eber dar? Im Vordergrund müsse die Produktqualität stehen, so der gemeinsame Nenner:

  • Im Lebensmittelhandel wächst die Bereitschaft, das Fleisch von geimpften Ebern an der Theke zu platzieren. Er hat ein klares Bekenntnis zum Verkauf von Produkten abgegeben, die von Ebern stammen, die mit Improvac behandelt wurden. Die Impfung der männlichen Ferkel beginnt bei einem Gewicht von rund 40 kg.
  • Auf der Seite der Schlachthöfe herrschen noch Bedenken aufgrund des erhöhten Sortieraufwands vor. Grundsätzlich wurde aber auch hier die Bereitschaft zum Schlachten so geimpfter Eber erklärt. Einzelne Schlachthöfe nehmen nach Absprache Improvac-Eber zu leicht schlechteren Konditionen ab.
  • Die Landwirte sind grundsätzlich bereit, auch die Impfung als Alternative gegen Ebergeruch umzusetzen. So hat sich die Initiative „100 000 Improvac“ zum Ziel gesetzt, 100 000 Improvac-Eber zu Beginn des Jahres 2020 in ihren Ställen zu haben. Damit soll demonstriert werden, dass die Landwirte bereit sind für den Ausstieg aus der Ferkelkastration und in der Impfung eine praktikable Alternative sehen.

Voraussetzung für eine breite Umsetzung dieser Methode in der Praxis sei eine faire Bezahlung der Schweine, so die rheinischen Mäster. Da mit Improvac- Ebern die gleiche Schlachtkörperqualität erzeugt wird, müssten die Tiere auch entsprechend der normalen Abrechnungsmaske bezahlt werden.


Die Durchführung

Hier setzte der Feldversuch der Schweinevermarktung Rheinland w.V. an. Vor dem Beginn besprach Geschäftsführer Dr. Frank Greshake mit den Ferkelerzeugern, Mästern und der Firma Manten als Abnehmer der Schlachttiere den genauen Ablaufplan. Um Anwenderfehler auszuschließen, wurde im Feldversuch die Herstellerfirma mit den Impfungen der Tiere beauftragt. Die erste Impfung bei einem Tiergewicht von etwa 40 kg erfolgt am Ohrgrund, jedes Tier wird gekennzeichnet. Die zweite Impfung muss vier Wochen vor dem Schlachttermin der Vorläufer erfolgen. Darum ist die genaue Buchführung von Einstalldatum, Gewicht und den Leistungsdaten erforderlich. Denn die genaue Einhaltung der Termine ist wichtig, um die Vorteile einer hohen Futteraufnahme der Eber zu gewährleisten, zugleich aber auch, damit die zweite Impfung so frühzeitig erfolgt, dass die Hoden sich zurückbilden. Es zeigte sich: Bei den Schweinehaltern kam die Impfung gut an. Die Zahl der Anfragen für die Teilnahme am Feldversuch wuchs. Besonders geschlossene Betriebe, die Ferkel selber mästen, hatten sehr großes Interesse.


Zwischenfazit aus der Praxis

Hier einige Einzelstimmen zu bisherigen Ergebnissen: Ferkelerzeuger und Mäster Georg Biedemann aus Kevelaer ist von dem Test überzeugt. Dank der hohen Tageszunahmen gerade in der Endmast erreichten die Improvac-Eber das Schlachtgewicht deutlich schneller als die Vergleichsgruppe inaktiver Eber. „Zudem war bei den geimpften Ebern deutlich mehr Ruhe im Stall. Die Ergebnisse am Haken mit hohen Indexpunkten (1,00 IXP/kg SG) rundeten das positive Bild ab.“ Ebenso hohe Indexpunkte erreichten die Schweine aus dem Maststall von Johannes Hippler in Geldern. „Die Impfungen bedeuten zunächst mehr Arbeit und Kosten, aber durch die sehr gute Schlachtkörperqualität und die sehr hohen Zunahmen in der Endmast wird das ausgeglichen.“ Hippler wird auch nach der Testphase bei der Impfung bleiben. Uwe Behnke aus Goch und Sohn Torsten arbeiten im geschlossenen Betrieb. Sie sind nicht auf den Verkauf von Ferkeln angewiesen, suchen aber schon seit Längerem Alternativen zur Kastration. Deshalb waren sie froh, bei dem Versuch dabei sein zu können. Für Uwe Behnke war auffällig, dass die Tiere nach der zweiten Impfung keine typischen Eberauffälligkeiten mehr zeigten. „Sie waren eindeutig ruhig, die Gruppe ist homogen gewachsen. Die Tiere verzeichneten deutlich höhere Zunahmen, die Futteraufnahme konnte gesteigert werden.“ Für Familie Behnke ist die Impfung eine echte Alternative, wenn der Schlachtkörper auch tatsächlich nach den wertvollen Teilstücken bezahlt wird. Die Zusammensetzung des Schlachtkörpers ist das entscheidende Kriterium für die Vermarktung. Sebastian Manten (Schlachthof) und Dr. Frank Greshake überzeugten sich im Kühlhaus von der Qualität der Schlachtkörper. Die Improvac-Eber zeigten eine sehr ordentliche Ausprägung der wertvollen Teilstücke mit gewünschter Fettabdeckung und -qualität.


Erfolgreich vermarkten

Mit dem Verbot der betäubungslosen Ferkelkastration bleibt die Verarbeitung von geruchsneutralem Eberfleisch unverzichtbare Voraussetzung für eine erfolgreiche Vermarktung. Die Impfung gegen Ebergeruch vermeidet die Entstehung dieses nachteiligen Geruchs nachweislich ebenso zuverlässig wie die Kastration. Durch eine flexible Wahl des zweiten Impftermins können zudem – ganz im Gegensatz zur Ebermast – der Fettgehalt insgesamt sowie der intramuskuläre Fettgehalt und somit auch die Verarbeitungseigenschaften direkt und positiv beeinflusst werden. Bernd Schiefer, ebenfalls SVR-Geschäftsführer, sieht sich vor einer neuen Herausforderung bei der Ferkelvermarktung. „Es darf nicht sein, dass Mäster vielleicht nur noch Eber oder nur noch weibliche Ferkel kaufen. Das würde uns und unsere Ferkelerzeuger vor unüberwindbare Hürden stellen.“ In der doppelten Impfung sieht er eine wirkliche Alternative. „Wir sollten uns jetzt auf den Weg machen – dann werden wir das Ziel auch erreichen“, betonte er zuversichtlich.


Lösungen am Markt bewähren

Eines hat der Feldversuch 2019 des SVR bereits deutlich gemacht: Die Betriebe sind wieder einmal Teil der Lösung und nicht des Problems. Vielmehr können sie sogar Probleme aufzeigen, die in gesetzlichen Handlungsoptionen liegen. Die Impfungen gegen Ebergeruch sind eine wirksame und tierfreundliche Alternative zur chirurgischen Ferkelkastration, die alle Kriterien von Lebensmittelsicherheit, Geruchsfreiheit und des Tierschutzes erfüllen. Durch die breite Beteiligung von Mitwirkenden am Feldversuch konnten zudem verschiedene Aspekte von vornherein in den Blick genommen werden. Es bleibt zu wünschen, dass das letzte Glied der Nahrungskette, der Verbraucher, mit dazu beiträgt, dass sich bewährte neue Lösungen auch am Markt durchsetzen können.

Quelle: LZ Rheinland 5/2020 S. 42-43 Text u. Foto Johannes Hilgers hilgers[at]viehvermarktung-online[dot]de