Es gibt viel zu tun!


Es ging um viel mehr als den intakten Ringelschwanz bei der Fachtagung, zu der die Schweinevermarktung Rheinland (SVR), die (GFS) Ascheberg   und der Rheinische Erzeugerring für Qualitätsferkel (FER) nach Straelen eingeladen hatten. Im Mittelpunkt stand die Förderung des Tierwohls durch Minderung von Nekrosen und damit ein ganz aktueller Themenkomplex, wie die enorme Resonanz der Schweinehalter zeigte.

Mit einem so großen Zuspruch hatten die Veranstalter wohl nicht gerechnet, der Saal im Gartenbauzentrum Straelen war bis auf den letzten Platz genutzt. Mit Schwanzbeißen und Ohrrandnekrosen hat jeder Schweinehalter in seinen Ställen zu tun – mal mehr, mal weniger. Die Veranstalter hatten sieben versierte Referenten gewinnen können, die eine Vielzahl an Informationen zu dem Themenkomplex lieferten.

Entzündungs- und Nekrose-Syndrom

Den Einstieg machte Prof. Dr. Gerald Reiner von der Uni Gießen mit einer anschaulichen Grundlagenvorlesung über Entzündungen und Nekrosen an Schwanz, Ohren und Klauen. „Es gibt derzeit kein Haltungssystem, das sicher und nachhaltig garantiert, dass der intakte Ringelschwanz erhalten bleibt“, machte der Veterinärmediziner eingangs deutlich und wies auf die zahlreichen Projekte mit mäßigem Erfolg hin. Im Schnitt blieben weniger als 30 % der unkupierten Ringelschwänze im Laufe der Mast unversehrt. „Da hilft auch nicht, das Kupieren von heute auf morgen zu verbieten. Das ist blinder Aktionismus und rächt sich mit noch intensiverem Tierleid“, stellte Reiner klar.

Es gehe keineswegs nur um Beißen und auch nicht nur um den Ringelschwanz. Vielmehr zeigten immer mehr Tiere Entzündungen und Nekrosen an Schwanz, Ohren, Kronsaum, Klauen und am Gesäuge. Als Ursachen dafür nannte der Professor Faktoren wie Imbalancen der Fütterung, die oft unzureichende Wasserversorgung, fehlende Möglichkeiten zur Thermoregulation, einen hohen Infektionsdruck, die Mykotoxinbelastung sowie ein extrem hohes Leistungspotential. Eine zentrale Rolle spielen die Organe Darm, Leber und Nieren, die mit der Entgiftung der bakteriellen Abbauprodukte überlastet sind mit der Folge  lokaler Entzündungen in minder durchbluteten Geweben. „Diese Problematik beginnt nicht im Flatdeck oder in der Mast, sondern bereits bei der tragenden Sau. Die ungeborenen sowie die säugenden Ferkel nehmen bereits Entzündungsprodukte auf“, erläuterte Reiner. Ohne den Stoffwechsel zu berücksichtigen, sei kein nachhaltiger Verzicht auf das Kupieren möglich.

Erfahrungen aus Thüringen

In einem Pilotprojekt „Caudophagie“ beschäftigen sich Betriebe in Thüringen damit, ein Beratungs- und Managementsystem zu etablieren mit dem Ziel, Ferkel mit unkupierten Schwänzen erfolgreich aufzuziehen und zu mästen. Dr. Simone Müller von der Thüringer Landesanstalt für Landwirtschaft informierte über das Projekt, an dem 18 Betriebe mit 30.000 Sauenplätzen, 110.000 Aufzuchtplätzen und 98.000 Mastplätzen teilnehmen. Basis des Projektes ist die Erkenntnis, dass Schwanznekrosen durch bestimmte entzündliche Stoffwechselprozesse induziert werden und in Zusammenhang mit Haltung, Klimaführung, Futter- und Wasserversorgung, Verhaltensbesonderheiten sowie dem Management stehen.

„Unser Ziel ist es, für alle bekannten Einflussfaktoren betriebsindividuell Schwachstellen zu erkennen und diese abzuändern“, fasste Müller zusammen. Beginnend bei den Saugferkeln wurden Bonituren durchgeführt, die zeigten, dass bereits in diesem frühen Stadium Veränderungen an Kronsaum, Schwanz und Zitzen auftraten. Als Maßnahmen dagegen wurde das Geburtsmanagement verändert, die Fütterung der tragenden und säugenden Sauen angepasst etwa durch die Zugabe von Rübenschnitzeln in der Ration, die Wasserversorgung von Sau und Saugferkeln verbessert und ein Wurfausgleich vorgenommen. Weitere Änderungen wurden auch in der Ferkelaufzucht und in der Mast vorgenommen.

„Wichtig ist, dass der Betriebsleiter und seine Mitarbeiter Motivation und Dialogbereitschaft mitbringen“, hielt Müller eine entscheidende Voraussetzung fest. Weil nur Hand in Hand und Stück für Stück Veränderungen möglich seien, sei auch die Zusammenarbeit mit Tierarzt, Futtermittellieferant und Stallausrüster wichtig. „Es müssen realistische Ziele gesetzt und die Umsetzung auch kontrolliert werden“, fasste Müller abschließend zusammen und wies darauf hin, dass nun Betriebserprobungen mit kleinen Gruppen unkupierter Tiere folgen würden.

Genetischer Einfluss?      

Um den genetischen Einfluss auf Nekrosen und das Beißgeschehen geht es in einem Projekt der GFS – Genossenschaft zur Förderung der Schweinehaltung, das Dr. Meike Friedrichs vorstellte. In der Leistungsprüfungsanstalt (LPA) Alsfeld in Hessen wurden bisher 640 Tiere eingestallt, um den Einfluss der Mutterlinien (Hypor, Dänische Genetik) und Vaterlinien (47 verschiedene Pietrain-Eber) zu untersuchen. Bislang sei beim Tierverhalten kein Unterschied zwischen den beiden Genetiken der Mutterlinien zu erkennen, hielt Friedrichs fest. Ein anderes Fazit sei, dass vor allem die Ferkelaufzucht und weniger die Mast die Herausforderung in Bezug auf Schwanznekrosen darstelle. Ablenkungsmaßnahmen seien in der Mast nur begrenzt wirksam. Im Durchschnitt aller bisherigen Durchgänge blieben 32 % der Ringelschwänze intakt. „Das zeigt, dass die Umsetzung des Kupierverzichts mit einem hohen Risiko verbunden ist“, fasste die Genetikexpertin zusammen.

Welchen Beitrag die Fütterung zur Vorbeugung von Nekrosen und Beißereien leisten kann, das beleuchtete Dr. Gerhard Stalljohann von der Landwirtschaftskammer NRW. Im Mittelpunkt stehen Fütterungsstrategien, die die Magen-Darmgesundheit fördern. Das Nähr-, Mineral- und Wirkstoffangebot sowie die Faserversorgung gelten dafür als wichtige Bausteine. Vor allem das Angebot an fermentierbaren Fasern, die als Nahrungsquelle der „guten“ Bakterien im Dickdarm dienen, muss ausreichend sei. So können im Darm unerwünschte Keime sowie Toxine verdrängt werden. Der Fütterungsexperte empfahl ein regelmäßiges Futter-Controlling zur Überprüfung von Nähr- und Wirkstoffen, Hygienestatus sowie Futterangebotsform. Nur so ließen sich Fütterungsmängel frühzeitig erkennen und beseitigen. Um das hohe Leistungspotential der Schweine auszufüttern, empfehle sich der gezielte Einsatz von Zusatzstoffen wie Säuren, Enzymen, Probiotika und Mykotoxinbindern.

Augenmerk auf Tränkewasserhygiene

Über den vorbeugenden Einsatz von Bierhefe in der Schweinefütterung informierte Dr. Jan Frericks von der Leiber GmbH. Bierhefeprodukte enthalten natürliche B-Vitamine, Spurenelemente und Mikroelemente wie etwa Glutathion und können die Darmgesundheit durch Hemmung von Toxinen und Krankheitserregern unterstützen, insbesondere in Mangel- und Stresssituationen. Zudem helfen Bierhefeprodukte, die in der Tierernährung in getrockneter Form eingesetzt werden, der Leber bei der Entgiftung von Umweltgiften und Endotoxinen. Nicht zu unterschätzen sei auch die beruhigende Wirkung der Hopfeninhaltsstoffe auf das Verhalten und den Stoffwechsel der Schweine.

Um die Minimierung von Toxinen und Endotoxinen geht es auch bei der Optimierung der Tränkewasserversorgung. Bakteriologisch belastetes Wasser wirkt immunsuppressiv, der Keimeintrag erfolgt vor allem über die Tränken, hielt Kai Aumann von der aumann hygienetechnik fest. Dabei trägt insbesondere der Biofilm zur mikrobiellen Belastung des Wassers bei. Deshalb sollten alle Ablagerungen, die Biofilm enthalten, entfernt werden. Für eine gute Tränkewasserhygiene sollten die Leitungen so kurz und kühl wie möglich verlegt und Totleitungen möglichst vermieden werden. Weil eine unzureichende Wasseraufnahme das Nekrosegeschehen verstärken kann, soll jederzeit eine ausreichende Wasserversorgung sichergestellt sein. Dazu müssen die Tränken gut erreichbar und korrekt dimensioniert sein und ein ungestörtes Saufen ermöglichen.

Stressfaktor Zugluft

Die Bedeutung des Stallklimas für das Auftreten von Ohrrandnekrosen beleuchtete Dr. Detlef Schulz, Boehringer Ingelheim. Während Fütterung, Wasserqualität, Genetik und Krankheitsdruck als alleinig auslösende Faktoren eher selten sind, können allein mit Stallklima-Fehlern Ohrrandnekrosen ausgelöst werden. „Vor allem Stress durch Zugluft und Wärmestau sind in den verschiedenen Altersklassen die entscheidenden Beschleuniger“, machte der Tierarzt deutlich. Dabei sei die Dichtigkeit des Stalles der wichtigste Faktor, denn es dürfe nur dort Luft in den Stall gelangen, wo es das Lüftungssystem vorsehe. Undichte Stellen an Türen und Wänden sowie undichte Abluftkanäle können zu Zugluft und/oder Wärmestau führen, damit Stress auslösen und das Auftreten von Ohrrandnekrosen fördern.

Christiane Nährmann-Bockholt, LZ- Rheinland Ausgabe 6 Seite 41

 

Referent/InTitelDownload
Prof. Dr. med. vet. Dr. habil. Agr. Dipl. ECPHM, Gerald Reiner , Uni GiessenEntzündung und Nekrose an Schwanz, Ohren, Klauen – Ursachen, Wirkung und Bekämpfung115
Dr. Simone Müller, Thüringer Landesanstalt für Landwirtschaft

Thüringer Schweinehalter initiieren ein Beratungs- und Managementsystem gegen Nekrosen115
Dr. Meike Friedrichs, GFS-AschebergWelchen Einfluss die Genetik auf das Auftreten von Schwanzbeißen/ Nekrosen hatVortrag folgt
Dr. Gerhard Stalljohann, Fütterungsreferent , LWK- Nordrhein-WestfalenWelchen Beitrag kann die Fütterung leisten?Vortrag folgt
Dr. Detlef Schulz , Boehringer IngelheimFälle aus der Praxis und Lösungen: Nekrosen – ein ernst zu nehmendes ProblemVortrag folgt
Kai Aumann, Aumann Hygienetechnik, VechtaOptimierung der Tränkwasserversorgung unter besonderer Berücksichtigung der Nekrosenproblematik115
Marie Reismann, Dr. Jan Frericks, Leiber GmbH, BramscheNekrosen in der Schweineproduktion – mit Bierhefe natürlich gegensteuern?115