Fachexkursion zur Schweineproduktion der Zukunft


Sommerzeit – Reisezeit. Bildungsurlaub gefällig? Je weiter und exotischer das Ziel, umso „trendiger“ (trotz der CO2 Belastung der Reisemittel). Aber: muss das sein? Hier kann gezeigt werden, dass das alte Sprichwort nach wie vor Gültigkeit beanspruchen kann: „Warum in die Ferne schweifen, wenn das Gute so nahe liegt?“…

Es geht um unsere Zukunft. Modern ausgedrückt: „Zukunft 2.0.“. Der Prozess dahin muss aber nicht erst mühsam angestoßen werden. Er ist längst voll im Gange. Und er ist anschaulich, be – greif – bar in seinen Erfolgen und Misserfolgen. Davon jetzt Konkretes.

Es beginnt an einem warmen Sommertag Ende Mai um 8 Uhr morgens in Sonsbeck am Niederrhein. Eine Gruppe von über 30 Teilnehmern mit eigenen Betrieben macht sich auf, den Spuren der Zukunft nachzuforschen.

Erstes Ziel: Hof Bodenkamp im Landkreis Grafschaft Bentheim (Niedersachsen). Hier erwartet uns die Familie von Dr. Jens van Bebber, der seit 2000 den elterlichen Hof bewirtschaftet. Damalige Ausgangslage: 10.000 Mastplätze in konventioneller Haltung. Zufütterung durch eigenen Ackerbau. In beidem Probleme. Für die Bodenqualität gab es nur 30 Bodenpunkte. Zukunftsstrategie also: Verbesserung der Erträge. Durch Veredelung der Bodenqualität.

Das war die Grundlage, um überhaupt weiterzumachen. Aber reichte das schon? Steigende Pachtpreise, steigende Güllekosten und niedrige Stückkosten pro Schwein stellten die konventionelle Produktion der Familie van Bebber in Frage. Das alte Konzept, „immer mehr und immer billiger für einen anonymen Markt“, trug allein nicht mehr. Und was die Familie daran auch belastete: es blieb immer weniger Zeit für das Tier.

Also: ran auch an dieses Problem. „Wir wollten unserer Verantwortung für die Tiere besser gerecht werden“ sagt van Bebber. Und beschäftigte sich damit, wie man den Tieren ein Stück weit die natürliche Lebensweise zurückgeben kann, um das Tierwohl besser in den Produktionsprozess einbringen zu können.

Dazu eine Versuchsanlage mit einer Teilmenge seiner Mastschweine. Die Parameter dazu: bauliche Stallveränderung, Haltungsveränderung, abgestimmte qualitative Vermarktungskette, besondere Tierart. Bei letzterem vertraut er auf Schweine der Duke-of-Berkshires, eine Kreuzung zwischen der alten und robusten englischen Rasse Berkshire mit einer deutschen Sau. Eine Rasse, die besonders geeignet ist für die Offenstallhaltung.

Und dafür wurden ehemalige Ställe, die zuvor 1.800 Tiere beherbergten, im sog. Offenstall-System umgebaut. Diese konnten danach nur noch 1.000 Tiere aufnehmen. Allerdings: ein gewünschter Effekt, so der Mäster. „Dadurch haben die Tiere fast doppelt so viel Platz und kommen auf 1,5 qm“, erklärt van Bebber. „Die Schweinebuchten sind nun in drei sogenannte Funktionsbereiche aufgeteilt: einen Ruhe-, einen Fress- und einen Kotbereich“. Auffallend bei der Besichtigung im Stall: es ist wirklich nur ein ehemaliger konventioneller Stall, bei dem Deckenisolierung und Wände fehlen. Bei kälteren und windigen Witterungsbedingungen schützen Windnetze die offenen Seiten. Sie werden mittels Temperaturmessung und Windsensoren automatisch geregelt.

Van Bebber hat es hier pragmatisch verstanden, aus der Not eine Tugend zu machen, um Hindernissen auf dem Weg in die Zukunft 2.0. zu begegnen. Denn schon dieser Umbau des Stalles (zum Wohle der Tiere!) stellte für die Familie eine bürokratische Herausforderung dar. So war aus rechtlichen Gründen nur eine Umgestaltung innerhalb der bestehenden Bausubstanz möglich. „Wenn wir Veränderungen hin zu mehr Tierwohl haben wollen, dann brauchen wir dafür auch die rechtlichen Rahmenbedingungen“ resümiert van Bebber. „Dann müssen Behörden und Tierschützer aber mitziehen!“. Denn: „Wir wollen, dass es unseren Schweinen gut geht“, betont er.

Beim Rundgang zeigt er der Gruppe das besonders Typische der Schweine. Und erklärt mit verschmitzt-verschwörerischer Miene auf dem Weg durch die offene Holzkonstruktion: „Gleich ist Fütterungszeit. Und die Schweine wissen das. Nun wartet mal ab, was passiert!“. Wie von Geisterhand öffnet sich plötzlich über den Tieren der Futterkasten, aus dem Futter herab auf den Boden rieselt. Sofort beginnen die Schweine mit der Suche auf dem Boden. „Das kommt dem natürlichen Fressverhalten sehr nahe. Die Schweine sind beschäftigt, sofort ist Ruhe im Stall“. So brauchen die Tiere für die Futteraufnahme fast eine halbe Stunde. „Und das geschieht viermal am Tag vollautomatisch“ berichtet der Betriebsleiter.

Auch an anderer Stelle hat er für kleine, aber wirksame Veränderungen gesorgt. Der mit Stroh eingestreute Liegebereich sorgt für Ruhe, dient aber auch zum Spielen und Knabbern. Er kann mit einer an der Decke angebrachten absenkbaren Platte abgedeckt werden.

Der Kotbereich ist auf eine kleine Fläche begrenzt, besteht zu einer Hälfte aus Spaltenboden und ist zur anderen Hälfte befestigt und leicht abschüssig. Der Harn kann dadurch schnell abfließen, die Entstehung von Ammoniak wird stark reduziert.

Viele weitere innovative Ideen sind im Stall umgesetzt. Doch bei allen Veränderungen bleibt eine Frage, die den rheinischen Landwirten besonders am Herzen liegt: kann man mit so einem Stall trotzdem wirtschaftlich arbeiten? Van Bebber nickt. „Sie haben das Problem gut erkannt. ‚Zukunft 2.0.‘ bedarf oftmals einer gemeinsamen Anstrengung Gleichgesinnter. Und das konnten wir hier bei der Planung auf die Beine stellen: eine neue, qualitativ ausgerichtete Vermarktungskette“. Vor der Entscheidung zum Umbau der Ställe musste ein neues Vermarktungssystem geplant werden. Denn die entstehenden Mehrkosten hätte der konventionelle Markt nicht erwirtschaften können. So haben sich gleichgesinnte Akteure einer Produktionskette zusammengefunden: von der Sauenhaltung über die Mast, die Schlachtung, die Zerlegung bis hin zur Vermarktung steht jeder Beteiligte mit seinem Namen für seine qualitativ höherwertige Leistung. „Verbraucher haben mehr und mehr Interesse an guten Haltungsbedingungen und sind dann auch bereit, dafür einen höheren Preis zu zahlen“, kann van Bebber stolz berichten. Er betont aber auch: „Diese eingebundene Offenstallhaltung ist nur eine Möglichkeit für mehr Tierwohl in der Schweinehaltung“. Sie stelle nicht die konventionelle Produktion in Frage. Aber künftig werde es darauf ankommen, „dass wir wieder eine Wertschätzung für jedes einzelne Tier hinbekommen.“

Wie sehr das gezeigte Modell die Exkursionsteilnehmer berührt hatte, zeigte sich bei der Weiterfahrt im Bus bei lebhaften Diskussionen. Was aber allen auch aufgefallen war: die Schwänze der Tiere waren nicht – wie sonst üblich – kupiert.

Es hatte sich schon beim Stallumbau van Bebbers gezeigt, dass bei der Gestaltung von ‚Zukunft 2.0.‘ auch immer wieder Gegenwind aufkommt. Viele Ratschläge von außen sind oft gut gemeint – aber kontraproduktiv. Dies zeigte sich auch bei der nächsten Station der Fortbildungsreise, in der auf wissenschaftlicher Basis zukunftsorientierte Verfahren in der Schweinezucht getestet und bewertet werden: im Versuchsbetrieb der LWK Niedersachsen in Wehnen. Um die Bewegungsfreiheit säugender Sauen zu verbessern, wird intensiv über alternative Haltungsvarianten diskutiert. Bei der Stallbegehung über einen Besuchergang konnten wir die Abferkelung in Einzelhaltung ohne Fixierung der Sauen als freie Abferkelung und eine Gruppenhaltung säugender Sauen ab etwa 5.LT der Ferkel sehen. Zeitgleich wurden die verschiedenen Haltungsverfahren im Lehr- und Versuchszentrum Futterkamp (Schleswig-Holstein) und in der Versuchsstation für Schweinehaltung in Wehnen (Niedersachsen) verglichen. Dr. Heiko Janssen LWK Niedersachen stellte das Projekt ‚InnoPig‘ vor.

Im Projekt wurden drei Abferkelsysteme verglichen:

  • die traditionelle Abferkelbucht mit Ferkelschutzkorb
  • die freie Abferkelung in Bewegungsbuchten mit und ohne Ferkelschutzkorb
  • die freie Abferkelung in Bewegungsbuchten mit Gruppenhaltung der Sauen.

Für die drei Abferkelsysteme wurden Daten zum Tierverhalten, zur Wirtschaftlichkeit und Arbeitssicherheit, zur Tiergesundheit und –ernährung und zur Leistung erfasst.

In der Öffentlichkeit steht die Variante Ferkelschutzkorb derzeit besonders stark in der Kritik. Konnte die wissenschaftliche Bewertung diese Kritik erhärten – oder entkräften?

Hierzu stellte Dr. Janssen die bisherigen Ergebnisse der Untersuchungen des Projektes vor. Die technische Entwicklung neuer Abferkelsysteme ist zwar noch in vollem Gange. Aber die Untersuchungsergebnisse machen bereits eine Tendenz erkennbar. So bringt  ein freies Abferkeln ohne Sauenfixierung extrem hohe Ferkelverluste von teils über 28 % mit sich. Todesursache sind die Erdrückungsverluste. Aufgrund der sowohl aus Gründen des Tierwohls als auch der Wirtschaftlichkeit inakzeptablen hohen Verluste sind Anpassungen an der freien Abferkelbucht unumgänglich.  Deshalb mussten im Verlauf des Versuchs eine ganze Reihe von Umbau- und Optimierungsmaßnahmen vorgenommen werden.

Wurden die Sauen in den ersten Tagen um die Geburt festgesetzt, erwies sich dies nachhaltig als aktiver Tierschutz für die Ferkel und führte zu deutlich geringeren Ferkelverlusten.

Der Betrieb eines freien Abferkelsystems führt gegenüber der Haltung in konventionellen Buchten zu deutlich höherem Zeitaufwand. Der Zugriff auf die Tiere ist schwierig und kostet mehr Zeit. Es kann zu vermehrten Verletzungen bei Tieren und beim Personal kommen. In diesem Zusammenhang ergaben sich neue Probleme hinsichtlich des Arbeitsschutzes der Beschäftigten. Insgesamt erschien dieses Modell daher nicht unbedingt zukunftsfördernd.

Auch das Konzept ‚Gruppenhaltung im Abferkelstall‘ funktioniert im Versuchsbetrieb noch nicht optimal. Hier sind die Saugferkelverluste ebenfalls erhöht. Zudem führt ein unkontrolliertes Abliegen der Sauen dazu, dass die Verschmutzung des Gesäuges zunimmt, was wiederum Gesundheitsfragen aufwirft.

Der gegenwärtige Stand lässt sich aus Sicht von Dr.Heiko Janssen so festhalten:  Die Variante Ferkelschutzkorb, der derzeit sehr stark in der öffentlichen Kritik steht, schnitt in den Versuchen am besten ab. Die Saugferkelverluste waren am geringsten. Ein Kompromiss in Richtung mehr Tierwohl könnte in der Kurzzeitfixierung der Sauen während der Geburt und drei Tage danach liegen. – Die Forscher bleiben am Thema!

Trotz der vielen Eindrücke und Informationen, die zu verarbeiten waren, hatte die Gruppe noch power und Interesse für eine weitere Station der Reise. Lockte vielleicht der plakative Name „Xaletto – Der Stall der Zukunft“? Jedenfalls, wie ein Teilnehmer später feststellte, das „absolute Kontrastprogramm zum Offenstall-Konzept der 1. Station“…

Was es mit der Weltneuheit Xaletto auf sich hat, stellte Manfred Pudlik von der Firma Big Dutchman vor. Der Begriff Xaletto steht für ein neues Strohstall-Haltungskonzept, entwickelt von Big Dutchman und Bröring gemeinsam mit einem Landwirt. Hierbei möchte man dem artgerechten Verhalten der Tiere wie Wühlen und Kauen entgegenkommen und dabei auch noch den Mistanfall reduzieren (sicherlich auch ein positiver Effekt mit Blick auf die neue Dünge-Verordnung). Das System kann in der Ferkelaufzucht und in  der Schweinemast angewendet werden – sowohl in bestehenden Ställen als auch bei Neu- oder Umbauten. Erforderlich ist ein geschlossener Stall mit notwendiger Be- und -entlüftung. Das Xaletto-Konzept beendet die üblichen Geruchsbelästigungen, denn es fällt keine Gülle an und der Mist ist ein wertvoller Dünger oder sogar umweltfreundlich kompostierbar.

Zentrales Element des Konzepts: das Einsetzen eines Rotteprozesses im Strohstall statt des Fäulnisprozesses bei konventioneller Stroheinstreu.  Dies bedarf einer entsprechenden Fütterungsstrategie. Eine Klimasteuerung des Stalles wird so programmiert, dass immer eine bestimmte Menge Wasser dem Rottematerial entzogen wird. Der Parameter Luftfeuchte steht im Lüftungscomputer an erste Stelle und nicht die Stalltemperatur. Sobald die Luftfeuchtigkeit im Stall 65% ansteigt, schalten die Lüfter einen Gang höher. Für das Strohkonzept wurden deshalb spezielle Wassertränken entwickelt, die mit einem Füllstandssensor ausgestattet sind. Dadurch soll verhindert werden, dass die Ferkel unnötig Wasser vergeuden.

Eine weitere Säule für den Erfolg dieses Haltungssystems ist ein spezielles Welfare-Futter, das weniger Rohprotein, dafür aber mehr Aminosäuren sowie Huminsäuren enthält. Damit es in Zusammensetzung und Dosierung wirtschaftlich eingesetzt werden kann, muss das tägliche Nachstreuen einem Roboter überlassen werden. Das System ist noch in der Erprobung, aber auf einem erfolgversprechenden Weg. Auch mit Blick auf die Forderung, unkupierte Schweine zu mästen, könnte es eine zukunftsfähige Grundlage darstellen, zumal die Tiere ihre natürlichen Verhaltensweisen wie Wühlen und Kauen ausleben können.

Die Reise in die Zukunft ging für die Reisegruppe nun dem (gemütlichen) Ende entgegen. Der Weg der Branche geht weiter – und bleibt spannend. Denn die Schweineproduktion befindet sich in einem gewaltigen Umbruch. Und hierbei zeigt sich:

  • Es gibt in der Schweineproduktion nicht einen Weg für alle.
  • Aber für alle Schweineproduzenten gibt es einen Weg in die Zukunft.

Den mit Freude und Zuversicht gemeinsam zu gehen, wird immer wichtiger – ob im geselligen Austausch oder bei ‚Vermarktungsketten‘ wie bei van Bebber. Heutzutage wird es immer wichtiger, auch durch Fachexkursionen den richtigen Weg zu finden.