Hohe Aufnahme von Sauenkolostrum sichert guten Start ins Ferkelleben


In den sauenhaltenden Betrieben sind die Wurfgrößen in den letzten Jahren beträchtlich angestiegen. Daraus erwachsen zugleich höhere Anforderungen an die Betreuungsintensität der Neugeborenen. Eine besonders große Bedeutung kommt dabei der möglichst unverzüglichen und bedarfsdeckenden Aufnahme von Kolostrum (Biestmilch) nach der Geburt der Ferkel sowie deren effektiven Infektionsschutz zu.

Mit der Abferkelung gelangen die geborenen Ferkel aus der schützenden körperwarmen Umgebung der Gebärmutter unter die andersartigen Stallbedingungen in den Sauenbuchten. Diese schließen eine Reihe von vorkommenden Krankheitserregern ein, die die Gesundheit und die Aufzuchtergebnisse beeinflussen. An die Stelle des Gasaustausches und der Nährstoffaufnahme vom Blut der tragenden Sau, für welche während der „hämotrophen“ Phase der fetalen Entwicklung  die Plazenta (Mutterkuchen) als Austauschorgan zwischen Mutter und Früchten fungiert, tritt post natum als wichtigste und anfangs ausschließliche Nahrungsquelle der Saugferkel die Muttermilch. Sie wird zu Recht als „Lebenselixier“ für die Kleinen bezeichnet. Das gilt insbesondere für das Kolostrum.

Wörtlich übersetzt bedeutet Elixier „Heiltrank“. In der Tat enthält der Eiweißanteil der Kolostralmilch, welche die Partussauen zugleich mit der Geburt bilden, die lebenswichtigen Antikörper gegen die meisten in der Umwelt der Saugferkel auftretenden Keime. Neben diesen Antikörpern werden die Neugeborenen über die Kolostralmilch mit mütterlichen Abwehrzellen (B- und T-Lymphozyten), Laktorferrin (für die Eisenbildung), Lysozym (ein bakterizid wirkendes Molekül), mit entzündungshemmenden Zytokinen („Botenstoffe“), freien Fettsäuren und Interferon versorgt, welches den Empfängern Widerstandskraft gegenüber Virusinfektionen verleiht. Die Kolostrumaufnahme ist deshalb von essentieller Bedeutung, weil die Ferkel infolge der Plazenta (bestehende Schranke) beim Schwein ohne mütterliche Antikörper und somit ohne Schutz gegen Infektionen geboren werden.

Das Erstkolostrum (erste 6 Stunden nach der Geburt) besteht zu über 15% aus Eiweiß, zu reichlich 5% aus Fett und zu 3,3% aus Kohlenhydraten (Laktose = Milchzucker). Erhält die hochtragende Sau vor der Geburt Muttertierimpfungen, so werden die daraufhin zusätzlich gebildeten Antikörper von der laktierenden Sau bei den Saugferkeln nur durch die Kolostrumaufnahme (Biestmilchantikö-rper) und regelmäßige Milchaufnahme (Milchantikörper) wirksam. In der tierärztlichen Impfpraxis ist z. B. der Einsatz einer zugelassenen Kombinationsvakzine gegen auftretende Kolidiarrhoe (verursacht durch Colistämme) als auch Nekrotisierende Enteritis (Erreger sind Clostridien) weit verbreitet. Jungsauen werden im letzten Trächtigkeitsdrittel zweimal geimpft und in den folgenden Graviditäten wird je nach Bestandssituation 1- oder auch 2-mal geboostert (aufgefrischt).

Das Kolostrum stellt in der Ferkelaufzucht im Abferkelstall auch die wichtigste Quelle für systemische maternale (mütterliche) Antikörper, die sogenannten Immunglobine (IgG) dar. Nachdem die Neugeborenen mit dem Saugen begonnen haben, wird das Kolostrum schrittweise durch weniger energiereiche Sauenmilch ersetzt, die lokale Antikörper (IgA) enthält. Demgegenüber nimmt der IgG-Gehalt nach Beginn der Laktation schnell ab. Zugleich vermindert sich auch die Fähigkeit der Ferkel zur Resorption der systemischen Antikörper. Je rascher die Neugeborenen also die Biestmilch erhalten, umso mehr Energie und IgG nehmen sie auf und desto besser sind ihre Überlebenschancen infolge der hierdurch erlangten passiven Immunisierung (systemischer Schutz). Nach erfolgtem Schluss der Darmschranke, welche bei den Ferkeln 24 bis 48 Stunden post natum eintritt, entfällt die IgG-Quelle, so dass Neugeborene, die nicht rechtzeitig Kolostrum erhielten, häufiger verlustig gehen.

Wieviel Biestmilch je Ferkel zur Verfügung steht, das hängt vornehmlich von der insgesamt erzeugten Kolostrummenge je Sau sowie von der Wurfgröße ab. In der Biestmilchperiode besteht zwischen beiden Kennwerten ein loserer Zusammenhang. In der darauffolgenden Zeit (ab 2. Säugetag) und während die reife Sauenmilch produziert wird, ändert sich das: Die Natur hat es nunmehr so eingerichtet, dass mit steigender Zahl von Saugferkeln auch mehr Milch gebildet wird. Zugleich kommt es zu Veränderungen in der Milchzusammensetzung, welche aus Tabelle 1 ersichtlich wird. Die Angaben basieren auf einschlägigen wissenschaftlichen Untersuchungsergebnissen sowie einer Auswertung des Schrifttums.

Wie sich dabei zeigte, ist die Sauenmilch energiereich, darüber hinaus hochkonzentriert, schmackhaft und bekömmlich für die Saugferkel. Sie besitzt einen hohen Trockensubstanzgehalt und enthält mit Ausnahme des Spurenelementes Eisen (Fe) alle für die Ernährung der Ferkel in der Säugezeit wichtigen Substanzen.  Die Verdaulichkeit ihrer Inhaltsstoffe liegt bei 89 – 99%. Für die Zusammensetzung ist das Laktationsstadium von entscheidender Bedeutung.

Der Übergang von der Biest- zur reifen Milch erfolgt gemäß Angaben in Tabelle 1 während der ersten drei Säugetage. Im ausgewiesenen Rohaschegehalt verbergen sich die Mineralstoffe. Sauenmilch weist recht hohe Gehalte an Calcium (2,4%) und Phosphor (1,61%) auf, beide Anteile bezogen auf die Trockensubstanz; das sind die höchsten Gehalte dieser Mengenelemente in der Milch von allen landwirtschaftlichen Nutztieren.

Beträchtlich ist bezüglich der Zusammensetzung sowohl der Kolostral- als auch der reifen Milch die große Variabilität zwischen den kontrollierten Sauen. Bei sehr großen Würfen, wie sie in den Ferkelerzeugerbetrieben zunehmend vorkommen, wie auch bei solchen mit unterdurchschnittlicher Milchleistung sowie auch bei einer niedrigeren Niveaustufe der Bewirtschaftungsmaßnahmen (Kostendruck, verfügbare Arbeitskapazität, Qualitätsmängel) kann es zu Versorgungslücken kommen.

In gleicher Weise treten auch bei der täglich verfügbaren Gesamtmenge an Kolostrum individuelle Schwankungen zwischen den Partussauen auf. Wie Tabelle 2 wiedergibt, reicht die Variationsbreite von 1,9 bis über 5 kg je Muttertier und Tag. Der Bedarf eines Ferkels in den ersten Stunden post natum, d. h. am ersten Lebenstag, ist auf mindestens 170 g je kg Körpergewicht (KG) zu beziffern, um das Überleben zu sichern. Für die optimale Immunisierung sind allerdings 300 g Kolostralmilch je Ferkel und Tag erforderlich. Nach Angaben verschiedener Autoren lag die ermittelte durchschnittliche Kolostrumaufnahme zwischen 210 und 370 g je kg KG. Es ist somit mit einem unterschiedlichen Versorgungsniveau der Neugeborenen mit Biestmilch zu rechnen. Tabelle 3 gibt anhand der rechnerisch bestehenden Zusammenhänge darüber Auskunft. Es lässt sich ein wachsendes Risiko für die Ferkelsterblichkeit bei den sehr großen Würfen ableiten, für die an den kritischen ersten Lebenstagen nicht genügend Kolostrum zur Verfügung steht.

Der genannte Zusammenhang lässt sich anhand der Leistungsveränderung aufzeigen, die sich bei den Ferkelzahlen während des letzten Jahrzehnts in der Sauenhaltung der rheinischen Betriebe vollzogen hat (Tabelle 3). Im Durchschnitt (Ø) vollzog sich sowohl bei den Anteilen tot geborener Ferkel als auch bei der Höhe der Saugferkelverluste ein Anstieg. Er fiel in Abhängigkeit von der Wurfnummer der Muttertiere (Jung- bzw. Altsauen) unterschiedlich hoch aus. Im Weiteren beeinflusste das Betriebsniveau (25% besonders erfolgreiche; Top Ten) die Höhe der Verluste sowie deren Veränderung im Verlaufe von 10 Wirtschaftsjahren. Zählt man die Anteile der Totgeborenen sowie verlustig gegangenen Ferkel zusammen, dann ergibt sich eine Tendenz zum Anstieg. Sehr große Würfe sind somit kritisch zu bewerten und es wird von Tierzuchtwissenschaftlern und Verantwortlichen für die Sauenhaltung ein Stopp von Maßnahmen zu weiteren Zuchtfortschritten bei der Zahl der geborenen Ferkel angemahnt. Nach den vorliegenden Berechnungen bedeutet jedes zusätzliche Neugeborene, dass je Ferkel eine um 22 bis 24 g geringere Kolostrummenge zur Verfügung steht. Die bei der Geburt schwereren Ferkel können mehr Biestmilch „abzapfen“. Ein um 100 g höheres Geburtsgewicht ermöglicht einen um 26 bis 27 g höheren Konsum des begehrten Nahrungsmittels am ersten Lebenstag. Die leichteren und weniger vitalen Wurfgeschwister bekommen also weniger von dem „Lebenselixier“ ab und haben dadurch schlechtere Startbedingungen.

Mit steigender Wurfgröße geht in der Regel auch eine längere Geburtsdauer einher, der Anteil tot geborener Ferkel kann zunehmen. Auch die Geburtsgewichte und damit verbundene Vitalitätskriterien, welche die Aufzuchtrate der Saugferkel mitbestimmen, unterliegen stärkeren Schwankungen. Verzögerte Geburten mit langen Austreibungszeiten je Fetus gelten als prädisponierende Faktoren für eine hohe Vorkommenshäufigkeit von Puerperalerkrankungen der Sauen (sog. MMA-Syndrom).

Als aussagefähige Grenzwerte für eine gute Vitalität der neugeborenen Ferkel gelten eine Zeit von der Expulsion bis zum ersten Gesäugekontakt von 12 bis 20 Minuten sowie eine Zeit bis zur ersten Kolostrumaufnahme nach der Geburt von 40 Minuten.

Daraus lässt sich für das Sauenmanagement schlussfolgern:

  • Ein wichtiger Punkt ist die gezielte Geburtenüberwachung und -fürsorge. Für die zu erledigenden Arbeiten im Abferkelstall – nämlich: Ferkel warm „empfangen“, trocken reiben und an das Gesäuge anlegen – können die o.g. Zeitnormative als Richtschnur gelten.
  • Als entscheidende Bedingung ist herauszustellen, ob die Geburt von jemandem betreut wird oder nicht und wie professionell das geschieht. Es gilt, bei Geburtsstörungen den betroffenen Partussauen rechtzeitige Hilfe zukommen zu lassen. Bei den gewachsenen Wurfgrößen bietet die gezielte Ferkelwache die Chance, eine hohe Überlebensrate der Neugeborenen zu sichern.
  • Die Geburtenüberwachung ist umso wirtschaftlicher je höher hierdurch die Senkung der Verluste ausfällt; das demonstrieren die in Tabelle 3 aufgeführten Betriebe, welche die Gruppe der Top Ten bilden. Die „Kunst“ der konditionsorientierten Sauenfütterung sowie ein mit dem bestandsbetreuenden Tierarzt abgestimmtes Gesundheitsmanagement tragen zur Sicherung optimaler Wurfleistungen in Einheit mit niedrigen Ferkelverlusten bei.

Damit die Neugeborenen auch alle an der „Milchbar“ Platz finden und zur Sicherung eines guten Startes ins Leben mit dem Lebenselixier Muttermilch bedarf es einer adäquaten Zitzenzahl: 14 lebend geborene Ferkel erfordern auch 14 funktionsfähige Zitzen (beiderseits mindestens 7 Stück je Zitzenleiste). Die Zuchtarbeit und Selektion bei den Mutterrassen und deren Hybriden ist darauf auszurichten, der gewachsenen Ferkelzahl ein komfortables Platzangebot an den Mammakomplexen der laktierenden Sauen zu bieten.

Dipl. Ing. agr. Johannes Hilgers, SVR w.V. Sonsbeck, Prof. Dr. Uwe Hühn, Wölfershausen