Improvac-Fleisch ohne Einschränkung nutzbar


Einige Verarbeiter behaupten, dass sich das Fleisch von Improvac-Ebern nur bedingt zur Schinken- und Wurstherstellung eignet. Das stimmt nicht, wie die TH Ostwestfalen-Lippe beweist.

Unser AUTOR
Prof. Dr. Achim Stiebing, ehemals Technische Hochschule OWL, Schwerpunkt Fleischtechnologie und DLG-Vizepräsident

Die Speckauflage von Mastebern, die mit Improvac geimpft wurden, sei zu dünn, ihr Bauch zu mager und ihr Fett zu weich. Deshalb lasse sich das Fleisch dieser Schweine ebenso wie das von unkastrierten Ebern nur bedingt zur Herstellung von Schinken, Brüh- und Dauerwürsten nutzen. Diese Vorwürfe hört man von Metzgern und Fleischverarbeitern immer wieder, wenn es um die Verwertbarkeit von Improvac-Tieren (I-Ebern) geht.

Doch stimmt das tatsächlich? Mitarbeiter der Technischen Hochschule Ostwestfalen-Lippe (TH OWL) in Lemgo wollten es genau wissen. Sie haben in drei Versuchsdurchgängen von 2011 bis 2013 aus dem Fleisch von Kastraten, Improvac-geimpften Ebern und weiblichen Mastschweinen, die unter identischen Bedingungen gehalten wurden, verschiedene Fleischerzeugnisse hergestellt.

 

WÜRSTCHEN, SCHINKEN UND CO.

Im Laboratorium Fleischtechnologie der Hochschule wurden während der Untersuchungen folgende Fleischerzeugnisse hergestellt:

  • Brühwurst (Wiener und Lyoner),
  • Rohwurst (Salami),
  • Kochwurst (Leberwurst),
  • Kochpökelware (Kochschinken)
  • und Rohpökelware (Rohschinken).

In der ersten Versuchsreihe im Jahr 2011 kamen je fünf Improvac-Eber und weibliche Mastschweine eines Mästers zur Auswertung, die gleich gefüttert worden waren. Im zweiten Versuch (2012) wurden Ober- und Unterschalen, Schultern, Lebern, Bauch, Deckelfett und Rückenspeck von I-Ebern, Kastraten und weiblichen Mastschweinen direkt aus dem Materialstrom eines Schlacht- und Zerlegebetriebes entnommen, um eine möglichst große Zahl von Tieren in die Stichprobe einzubeziehen. Und im dritten Versuchsdurchlauf 2013 wurden je 30 Schweinehälften vom selben Mäster zerlegt und zur Herstellung von Kochschinken verwendet.

 

OPTISCH KEIN UNTERSCHIED

Der erste Eindruck: Rein optisch war zwischen den Teilstücken der Kontrolltiere (weibliche Mastschweine oder Kastraten) und denen der mit Improvac geimpften Eber kein Unterschied zu erkennen.
Zur Bewertung der Produktzusammensetzung und Produktqualität wur- den deshalb physikalische Kriterien (pH-Wert, Gewichtsverlust, Farb- und Texturmessungen), chemische Bewertungsparameter (Oxidationsstabilität, Androstenon-, Indol- und Skatolgehalte) sowie sensorische (z.B. Geruch, Geschmack) Untersuchungsmethoden angewendet.
Die beschreibende sensorische Prüfung erfolgte durch fünf sensorische Sachverständige mit DLG-Sensorik-Zertifikat. Die neutralisierten Proben wurden den Prüfern jeweils paarweise vorgestellt. Zur Absicherung eventuell vorhandener Unterschiede wurden auch Dreieckstests mit zehn bzw. 14 geschulten Prüfern durchgeführt.

 


WÜRSTCHEN NICHT SO FEST

Bei Brühwürstchen stellten die Prüfer einen leichten Unterschied bei der Festigkeit fest. Die Textur der Impro- vac-Brühwürste war nicht ganz so fest wie die der Würstchen aus dem Fleisch der Kontrolltiere. Vermutlich lag das daran, dass bei den Würstchen aus dem Fleisch der I-Eber 5% des Schulterfleisches durch etwas Fettge- webe vom Schinken ersetzt wurde, um einen vergleichbaren Fettgehalt zu erhalten. Beide Festigkeitswerte lagen jedoch im Toleranzbereich.

Alle anderen Messergebnisse wie- sen keine signifikanten Unterschiede auf. Auch die Geruchs- und Ge- schmacksbewertung der Brühwürste ergab keine merklichen Unterschiede.

 

ETWAS FESTERE SALAMI

Bei den Rohwürsten zeigte sich, dass die Salami, die aus dem Fleisch der I-Eber hergestellt wurde, tendenziell etwas fester war als die der Vergleichsproben. Das lag daran, dass der Trocknungsverlust bei der Salami der I-Eber geringfügig höher war. Der Reifungsverlauf, die Säuerung, war dagegen nicht unterschiedlich.

Die Untersuchungen zur Oxidationsstabilität belegten, dass sich bei den vakuumverpackten Rohwürsten nach einmonatiger Lagerung keine merklichen Unterschiede zwischen den Chargen feststellen ließen. Die Salami aus dem Fleisch der I-Eber war im Äußeren und im Anschnitt etwas dunkler. Außerdem wies sie einen etwas stärkeren Trockenrand auf. Bei der Bewertung der Konsistenz ergaben sich dagegen keine Differenzen.

Bei der Geruchs- und Geschmacks- bewertung gab es leichte Unter- schiede. Zwei Prüfer sagten, dass die Salami aus dem Fleisch der I-Eber kein so ausgeprägtes Rohwurstaroma aufweise. Die anderen drei Experten teilten diese Einschätzung aber nicht.

Acht von zehn Prüfern konnten die Proben beim Dreieckstest zwar unterscheiden. Klare Präferenzen gab es aber nicht. Drei gaben der Salami aus dem Fleisch der Kontrolltiere den Vorzug, vier den Rohwürsten aus dem Fleisch der Improvac-Eber.

Die chemische und physikalische Bewertung der Kochwürste ergab, dass die Leberwürste aus dem Fleisch der Kastraten und weiblichen Mastschweine tendenziell etwas heller waren. Das lag vermutlich daran, dass diese Leberwürste 3% mehr Wasser und 3 % weniger Fett enthielten. Beim sensorischen Vergleich konnte das Expertenteam dagegen weder bei den pasteurisierten noch bei den sterilisierten Leberwürsten Geruchs- oder Geschmacksunterschiede ausmachen.

 

GERUCH BEIM KOCHSCHINKEN?

Nun zum Kochschinken: Bei den physi- kalischen und chemischen Untersu- chungskriterien ließen sich keine signi- fikanten Unterschiede feststellen. Bei der sensorischen Überprüfung von acht Kochschinken mit Speckauflage, die aus Fleisch von I-Ebern gefertigt worden waren, fielen bei zwei Schinken leichte und bei einem merkliche Abweichun- gen im Geruch und Geschmack auf. Der Geruch wurde als stall- oder urinartig beschrieben. Eine anschließend paarweise durchgeführte Prüfung durch geschultes Personal führte zu ei- nem vergleichbaren Ergebnis.
Um zu klären, was diese Geruchsabweichungen verursacht haben könnte, haben die Forscher die Speckauflage von sechs Kochschinken der I-Eber- Gruppe auf ihre Gehalte an Indol, Skatol und Androstenon untersucht.

Ergebnis: Zwei Proben enthielten 0,08 bzw. 0,1 mg Androstenon/g Fett, während die vier anderen Proben weniger als 0,01 mg/g Fett enthielten. Um Geruchs- und Geschmacksabweichungen zu vermeiden, wird allgemein empfohlen, dass der Androstenongehalt Werte von 0,5 bis 2,0 mg/g Fett möglichst nicht überschreiten sollte. Allerdings gibt es beim Androstenon große Unterschiede in der individuellen Wahrnehmung.

Beim Skatol, das nahezu von allen Menschen wahrgenommen wird, lagen die Messwerte im Mittel bei 0,014 mg/g Fett (maximal 0,18 mg/g). Und beim In- dolgehalt betrugen die Messwerte im Schnitt 0,05 mg/g Fett (max. 0,07 mg/g). Als maximale Obergrenze werden beim Skatol jedoch 0,5 mg/g angegeben. Unter dem Strich ließen sich keine Zusammenhänge zwischen den sensorischen Bewertungen und den Analyseergebnissen ableiten. Waren die Geruchs- abweichungen also rein zufallsbedingt? Fakt ist, dass sich derartige Geruchs- auffälligkeiten mitunter auch bei Teil- stücken von weiblichen Schweinen oder Kastraten feststellen lassen.

Deshalb wurden in der dritten Versuchsreihe jeweils 30 zufällig ausgewählte Unterschalen mit Speckauflage zur Kochschinkenherstellung verwendet. Hier wurde gezielt darauf geachtet, dass sowohl die I-Eber als auch die Kontrolltiere vom selben Mäster stammten. Und siehe da: Bei keinem der 30 untersuchten Kochschinken stellten die Prüfer negative Geruchs- oder Geschmacksabweichungen fest – weder die geschulten Experten noch die ungeschulten Laien.

ROHSCHINKEN UNAUFFÄLLIG

Bei Rohschinken wiesen die Untersucher keine Unterschiede im Reifungsverhalten nach. Schinken, die aus dem Fleisch der I-Eber hergestellt wurden, hatten jedoch tendenziell eine geringere Fettauflage als Rohschinken von weiblichen Schweinen oder Kastraten.

In puncto Pökelfarbe und Struktur des Muskelgewebes gab es hingegen keine Unterschiede. Auch bei der mit speziellen Instrumenten gemessenen Farbe des Magerfleisches stellten die Wissenschaftler keine Unterschiede fest – weder beim Rohmaterial noch bei den fertigen Schinken.

Quelle: top agrar 2/2020 S. 22-24 Foto u. Text:  Henning Lehnert henning [dot] lehnert [at] topagrar [dot] com / Die Erstveröffentlichung erfolgte in der Zeitschrift „Fleischwirtschaft“, 9/2019